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AutorenbildJulia

Tackeln von Herausforderungen / Teil 2: Back to Biking - Graz schreibt Fahrradgeschichte


In unserer neuen dreiteiligen Serie berichten wir von positiven Beispielen und Situationen aus dem Sport, in welchen schwierige Herausforderungen angegangen und diese erfolgreich gemeistert wurden.


Heute werfen wir einen Blick auf die Landeshauptstadt der Steiermark. Graz gilt als Stadt, die Fahrradgeschichte geschrieben hat. Worauf das zurückzuführen ist und wie die Geschichte heute aussieht, erfährst du in diesem Artikel!


Fahrradanteil sank dramatisch

Der Fortschrittsglaube der Nachkriegszeit wich nach und nach der Sorge und Kenntnis, dass fossile Ressourcen nicht unendlich seien. Seit der Ölkrise in den 1970ern keimte daher eine neue Auffassung von ressourcenschonender Mobilität auf und gab vermehrt Anstöße auf eine Sensibilisierung bezüglich Umweltfragen in Österreich. Das galt auch für die Landeshauptstadt Graz. 1973 war der Fahrradanteil im Verkehr bereits auf unter 7% gesunken. Eine geförderte Radinfrastruktur fehlte, Fahrradwege aus der Vorkriegszeit waren dem immer drastisch steigenden Autoverkehr gewichen, die mehr Platz brauchten.

Car Parking Lot
Der Fortschrittsglaube der Nachkriegszeit: Autos verdrängen zunehmend Fahrräder

Alternative Mobilitätskonzepte

Man suchte also nach alternativen Mobilitätskonzepten, durch welche das Fahrrad seine Bedeutsamkeit zurückerlangte. Unterstützt von der aufstrebenden Fitnessindustrie durfte das Rad wieder als Individualverkehrsmittel glänzen, das neben Unabhängigkeit auch körperliche Leistungsfähigkeit sowie Umweltbewusstsein repräsentierte. Dadurch wurde der Wandel zu einem ganzheitlichen Umwelt- und Gesundheitsbewusstsein angestoßen. In Deutschland erlebte das Fahrrad 1974 einen wiederauferstandenen Boom: allein in Deutschland stieg der Radverkehr im Jahr 1970 von 3 Millionen Radfahrer*innen auf 4,2, Millionen Radfahrer*innen 1980.

Dieser Boom sollte auch in Österreich einige Jahre später folgen. Fahrradfahren erfuhr sein Aufleben nicht nur als eine umweltschonendere Art der Fortbewegung, sondern ein Statement für Umweltbewusstsein.


Insbesondere die Debatte und die anschließende Volksabstimmung gegen das Atomkraftwerk Zwentendorf stoßen den neuorientierten Bewusstseinswandel in Österreich an, welcher auch den Ruf nach ressourcenschonender Mobilität verstärkte. Das führte schlussendlich zu einem Aufleben der Fahrradkultur: mehr Umweltschutz und Bewusstsein durch alternative Mobilität.

Nicht mehr allein: die Fahrradkultur lebt wieder auf!

Arbeitskreise und Demos

Überwiegend beteiligt war dabei der Arbeitskreis „Energie und Verkehr“ ab 1978. Dieser bestand aus Alternativgruppen aus ganz Österreich, aus welchen schließlich die „Arbeitsgemeinschaft Alternative Verkehrspolitik“ geboren wurde. Das Ziel: eine konsequente Umorientierung hin zu einer nachhaltigen Stadt- und Raumplanung. Nicht-motorisierter Verkehrs und der öffentliche Verkehr sollten gefördert werden und der Anteil von Autos am Gesamtverkehr gesenkt werden.


Um ihren Forderungen Gehör zu verschaffen, wurden 1979 eine Großzahl an Fahrraddemonstrationen durchgeführt. Neben Städten wie Wien, Salzburg und Linz wurden insbesondere in Graz die Stimmen laut für nachhaltigeren Verkehr. Über 1500 Menschen beteiligten sich u.a. in Graz an einer gemeinsamen Demo-Radausfahrt, das Rathaus wurde als Zeichensetzung in „Radhaus“ umbenannt. Zudem wurde von einigen Aktivist*innen ein erster Radweg mit Farbe gemalt und Verkehrstafeln aus Pappe aufgestellt.


Fahrraddemos in Graz © Slg. Tischler http://graz.radln.net/cms/beitrag/11395124/69419437/

Die Umsetzung

Erich Edegger, zu dieser Zeit Gemeinderat, war selbst leidenschaftlicher Radfahrer und begrüßte das Verhalten der Aktivist*innen. Trotz skeptischer Stimmen wurde das damals bereits geplante Radverkehrskonzept schneller als angenommen in die Wege geleitet und das Radwegenetz endlich verbreitet. Es bildet noch heute die Basis für das Radwegenetz des heutigen Graz. Neben der Umsetzung erster Radwege wurde auch die Öffnung von Einbahnen für das Fahrrad durchgesetzt. Der „Erich-Edegger-Steg“ erinnert nach wie vor an die Umsetzung.

Graz City of Graz
Die Radverkehrsoffensive will Graz noch fahrradfreundlicher machen

Ausblick Radverkehrsoffensive

Mit kräftigen Stimmen, Überzeugung und umweltbewussten Handeln wurde das Fahrrad nach dem ernüchternden Tiefpunkt vor 1970 erneut zu einem beliebten, umweltfreundlichen und gesundheitsfördernden Individualverkehrsmittel. Jede*r zweite*r Grazer*in besitzt heute ein Fahrrad, der Prozentsatz des Radverkehrs am Gesamtverkehr beträgt in Graz aktuell 19%. Dennoch zeigen Umfragen, dass noch einiges in Hinblick auf Sicherheit, Erreichbarkeit sowie Radabstellplätze getan werden kann und auch muss. Ein potenzieller Radanteil von stolzen 39% könnte sich durchaus in Graz erreichen lassen. Das tut nicht nur der Gesundheit, sondern auch der Umwelt gut.

Hoffnung schöpft dabei die „Radverkehrsoffensive im Großraum Graz“ für klimafreundlichen Radverkehr. Der Anteil der Fahrräder im gesamten Verkehrsaufkommen im Großraum Graz soll sich bis zum Jahr 2030 zu verdoppeln.

Fahrradfahren in Graz ist ein Beispiel dafür, dass an Herausforderungen im und mit Sport herangegangen werden muss. Konsequentes Beharren der Aktivist*innen, das mit Hilfe des Gemeinderates geplante Konzepte hervorbrachte, ermöglicht uns heute das Radfahren in Graz.


 

Über die Autorin:

Julia Wlasak ist Vollblut-Sportlerin. Sie blickt auf umfassende Erfahrung im Schul- und Hochschulbereich zurück und wundert sich, warum Sport so wenig Aufmerksamkeit im Nachhaltigkeits- und BNE-Kontext bekommt. Deswegen gründete sie im Dezember 2019 move4sustainability.

 

Weitere Informationen:



SEEMAYER, Lydia (2003): Das Fahrrad im Gefüge der städtischen Mobilität. Graz


NEYER, Franziska (2013): Fahrradkultur in Graz - studentische Einstellungen zum Fahrrad als urbanes Alltagsverkehrsmittel. Graz

1 Comment


helmut.wlasak
Apr 22, 2020

Superartikel,großartig.ich kann mich noch bestens an die Zeit mit Erich Edegger erinnern, er war seiner Zeit weit voraus, wurde auch von vielen, meist von Vertretern der Autofahrerlobby angegangen.......der Fahrradsteg über die Mur ist das Mindeste der Erinnerung, toll, dass so viele Radfahrer jeden Tag auf diesem die Mur queren, ich denke oft an ihn! Auch Gans damals noch die Verkehrsstaus in der Herrengasse, als die FußgängerZone eingeführt wurde, jammerten die Geschäftsleute der Innenstadt und sahen ihren Umsatz schwinden, alles Blödsinn wie wir heute wissen.Schlendernd zu Fuß oder mit dem Rad in der Innenstadt, das ist es. Es bedürfte auch sonst mehr Zweiräder statt Vierräder.

Für mich steht fest, dass das Rad für die Stadt das Beste ist, weil gesund,mobil,abgaslos und…


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